NEWS | 2021-08-29
Wieder einmal habe ich eine Szene aus dem bereits (wenn auch noch nicht gänzlich) überarbeiteten Teil meiner Dilogie ›Der steinerne Garten‹ für Euch. Nice, wenn es Euch gefällt. I hope so.
Habt einen schönen Rest-Sonntag. <3
BB, Jay xxx
Photo by Alex Plesovskich on Unsplash
___________________
Der Hunger ließ sein Bewusstsein erwachen. Er hatte wie ein Stein geschlafen. Traumlos und offenbar ohne sich einen Zentimeter zu bewegen. Unwillig quälte er sich aus dem Bett und zog sich ein frisches T-Shirt über. Als er auf den Flur hinaustrat, blieb er stehen und lauschte, den Blick fest auf Nathanyels Zimmertür gerichtet.
Stille schlug ihm entgegen. Riley zögerte. Sollte er anklopfen? Klar war, dass sie nicht so weitermachen konnten wie bisher. Er hob die Hand und pochte sachte mit den Fingerknöcheln gegen das Holz. Nichts geschah. Nachdenklich biss er sich auf die Unterlippe. Ob Nathanyel das Heroin tatsächlich vernichtet hatte?
›Sieh doch mal nach, Buchanan.‹
Er sah zum Treppenabsatz hinüber. Auch aus den unteren Räumen drang kein Geräusch zu ihm. Seine Hand ergriff den Messingknauf und begann diesen zu drehen. Behutsam und wohl wissend, dass es in mehrfacher Hinsicht keinesfalls in Ordnung war, was er da tat. Die Tür war wider Erwarten nicht abgeschlossen. Mit einem leisen Klicken sprang sie auf und gab die Sicht in das dahinterliegende Zimmer frei.
»Nathanyel?« Eine überflüssige Frage, da er auf den ersten Blick sah, dass er allein war. Die großen Erkerfenster waren wie beim letzten Mal mit den schweren, dunklen Vorhängen verhangen und nur durch einen schmalen Spalt drang gedämpft das Tageslicht in das Rauminnere. Erkalteter Rauch stach ihm in die Nase, wie als ob kürzlich etwas verbrannt worden war. Flüchtig warf er einen Blick in den Kaminschacht, konnte jedoch keine frische Asche entdecken. Er wandte sich um und betrachtete erneut das breite Bett, welches nach wie vor dominant den Raum beherrschte. Sollte er es wagen? Er schnaubte ungehalten, weil er sich wie ein Verbrecher fühlte. Er wollte doch nur nachschauen, ob es stimmte, was Nathanyel ihm gesagt hatte. Mehr nicht. Mit diesen Gedanken schlängelte er sich durch die kniehohen Büchermauern hindurch, bis er schließlich unangenehm berührt stehenblieb. Vor ihm türmten sich unzählige Medikamentenpackungen auf. Manche von ihnen waren angebrochen, andere originalversiegelt. Darauf bedacht die Bücher durch eine unachtsame Bewegung nicht zu Fall zu bringen, kniete er sich hin und ließ die zahlreichen Tablettenblister durch seine Hände wandern.
›Du hättest mir wirklich noch ein paar geben können, Pritchard. Du hast verdammt viel von dem Zeug hier herumliegen.‹
Nachdenklich studierte er die Aufschriften. Neben Valium erkannte er auch ein ihm bekanntes Antidepressiva. War eine Depression der Grund, weswegen Nathanyel im Waterbury Hospital behandelt worden war?
ER HAT ES LETZTES JAHR EIN WENIG ÜBERTRIEBEN.
Der leise Ton von Eirlys‘ besorgter Stimme klang in seinem Geist nach und wieder überlegte er, auf welches Ereignis in Nathanyels Leben ihre Worte abzielten, dass eine Therapie in einer Klinik für psychische Störungen dringend indiziert werden musste.
Einige der vergilbten Zeitungen im Wohnzimmer waren vom Februar 2011 gewesen. Demnach hatte Nathanyel fast ein Jahr in stationärer ärztlicher Behandlung verbracht. Eine lange Zeit, der zweifellos eine schwere seelische Erkrankung zugrunde liegen musste. Das Problem war nur, dass Nathanyel überhaupt nicht depressiv auf ihn wirkte.
Allerdings war er kein Arzt; genaugenommen würde er noch nicht einmal soweit gehen zu behaupten, ein gewisses allgemeines Grundwissen über psychische Krankheiten zu besitzen, aber es fiel ihm schwer zu glauben, dass jemand, welcher derart von sich selbst überzeugt war, unter schwerwiegenden Depressionen litt. Vielleicht mochte dies möglich sein, sofern die Arroganz lediglich eine schützende Fassade war, doch seiner Ansicht nach stützte sich Nathanyels blasierte Art eher auf der unumstrittenen Tatsache, dass dieser sich als diagnostizierter Hochbegabter offensichtlich für etwas Besseres hielt und von gewöhnlichen Menschen schnell gelangweilt war und es diesen gegenüber auch ohne Umschweife gern zum Ausdruck brachte.
Grübelnd spitzte Riley die Lippen.
›Du vergisst, dass er kalt wie ein Fisch ist. Wie willst du ihm dann anmerken, dass er depressiv ist?‹
Aufseufzend legte er die Schachteln zurück und warf nach kurzem Zögern einen Blick unter das Bett. Kein Heroin. Aber dies wäre wohl auch zu einfach gewesen. Er hob den Kopf und sah zum Kleiderschrank hinüber. Vielleicht dort. Rasch stand er auf.
Wie beim letzten Mal bot sich ihm ordentlich gestapelte Kleidung dar.
›Tatsächlich immer noch zu leicht.‹
Der Geruch von frisch geschnittenem Gras stieg ihm in die Nase; ein eigentümliches Bouquet, welches Nathanyel stets wie eine schwache Aura umgab. Trotz seiner Bedenken schob er seine Hände zwischen die Lagen und spreizte die Finger, hochkonzentriert darauf bedacht, etwaige Fremdkörper umgehend zu bemerken, ohne eine verräterische Unordnung zu verursachen. Einen Moment später hielt er inne. Was machte er hier eigentlich? Rasch wich er zurück, schlug die Schranktüren zu und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. »Scheiß-Zeug«, murmelte er leise. Wie ein klebriger Virus hatte sich die neuerliche Sucht an seinem Gehirn festgesaugt und wieder würde es seine Zeit dauern, sie vollends loszuwerden.
________________
© Jayden V. Reeves | Überarbeitete Ausgabe ›Der steinerne Garten‹ Bd. 1 | nicht lektoriert.