TABOOS DO NOT EXIST
Ich wurde mal gefragt, wann mich persönlich ein Buch in seinen Bann zieht. Wann kann ich es nicht mehr aus der Hand legen, lese in jeder freien Minute, habe es immer griffbereit?
Zugegeben. Es gibt nicht viele Bücher, die das schaffen. Ich erwarte viel von einem Roman, der dies bei mir erreichen möchte. Vielleicht bin ich deswegen selbst mein schärfster Kritiker.
Ein Roman, der nach dem ersten Interesse meine volle Aufmerksamkeit gewinnen will, muss atmosphärisch dicht sein, die Protagonisten müssen glaubhaft in all ihrer Schön- und Hässlichkeit agieren, der Plot muss logisch aufgebaut und die Handlungen und Empfindungen nachvollziehbar und authentisch sein.
Ich denke eines ist sehr wichtig zu wissen, wenn jemand meine Geschichten lesen möchte: Ich beschönige die Dinge nicht. Zu keiner Zeit. Meine Geschichten handeln nicht von makellosen, tugendhaft wertvollen Menschen. Ich schreibe keine Bücher, um den oft so favorisierten gesellschaftlichen »guten Ton« zu präsentieren oder um mich bei etwaigen Vergehen gar als Richter meiner Protagonisten aufzuspielen. In meinen Büchern verhalten sich meine Charaktere selten ethisch korrekt und sozial erwünscht. Sie übertreten Grenzen. Manchmal auch sehr bewusst. Sie sind menschlich.
So sehr wir es auch ersehnen: Wir alle handeln nicht immer moralisch perfekt. Das ist die Realität. Die Kunst des Ganzen besteht für mich darin, all diese Dinge zu schreiben, ohne sie zu verherrlichen. Sie geschehen. Punkt. So gesehen, existieren hier keine Tabus.
Ich schreibe Geschichten über Menschen, wie es sie gibt. Über Vorfälle wie es sie gibt. Über dunkle Eigenschaften und geheimes Verlangen. Derartige Dinge nicht zu thematisieren, hat für mich nichts mehr mit schriftstellerischer Freiheit zu tun und noch weniger mit Authentizität.
Wenn ich schreibe, habe ich nicht das Ziel moralische Bibeln anzufertigen. Manche Dinge bleiben ungesühnt – oder die Protagonisten bekommen ihre eigene ganz persönliche Quittung für ihr Verhalten fernab vom rechtlichen. Es steht für mich gar nicht zur Debatte, ob ich hinter den Handlungen meines Protagonisten stehe bzw. sie gut heiße. Ich gewähre einen Blick in den Kopf eines anderen Menschen. Nichts weiter. Für mich persönlich ist das der Job eines Autoren.
Und dann ist da noch das Ende der Geschichte. Hier möchte ich abschließend auf ein Zitat von Peter Waiden verweisen, der meine Sichtweise diesbezüglich perfekt auf den Punkt gebracht hat. Danke dafür.
EIN GUTER SCHLUSS...
… tut vor allem eines: Passen.
Vielleicht sollte man sich mit Begriffen wie Stringenz, Homogenität und Authentizität befassen. Sind in der Kunst das A und O. Ansonsten (wie eben in der Kunst) ist ganz viel Gefühl notwendig. Ein tragische Geschichte mit einem Happy End versehen »weil man solche Enden halt mehr mag«, kann sich unfassbar falsch anfühlen und den Leser sogar verärgern, statt erfreuen.
Enden werden aber vor allem eines nicht: Alle zufrieden stellen. Umso stärker das Ende, umso mehr wird es wohl auch polarisieren.
Für manch mystische Geschichte gibt es oft kein besseres Ende als ein offenes. Ein Ende sollte sich auf alle Fälle richtig anfühlen. Die logische Konsequenz aus dem was zuvor ging, aber vielleicht mit einem Schuss Überraschung. Manche Enden lösen auf, setzen einen Schlussstrich, stellen einen neuen Abschnitt in Aussicht (Neuanfang), manche verleihen Genugtuung, andere schockieren, lassen eine Figur gewinnen oder alle etwas verlieren.
Ich bin der Meinung, dass man wie bei Bands spürt, wenn etwas zu sehr gewollt wurde. Sonst wären Castingbands die erfolgreichsten der Welt und nicht irgendwelche schrägen Typen, die in ihrer Garage nur der Musik willen begonnen haben und nicht des Geldes willen.
Authentizität kann man nicht lernen und auch nicht kaufen, man kann aber den Mut dafür finden. Stück für Stück.
© Peter Waiden